Titelbild eines Buches

Markwart Herzog und Peter Fassl: Sportler jüdischer Herkunft in Süddeutschland

(Irseer Dialoge: Kultur und Wissenschaft interdisziplinär, Band 22). W. Kohlhammer Verlag Stuttgart 2021. 326 Seiten mit 55 Abbildungen. Kartoniert € 29,–. ISBN 978-3-17-038583-2

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Die Herausgeber Markwart Herzog (Direktor der Schwabenakademie Irsee) und Peter Fassl (Heimatpflege des Bezirks Schwaben, Augsburg) haben zusätzlich acht AutorInnen für ihr Buch gewinnen können. Der Titel »Sportler jüdischer Herkunft in Süddeutschland« mag gelten. Doch richtet sich ein starker Fokus auf Bayern und dort wiederum auf Schwaben bzw. Franken. Aus Memmingen, Augsburg, Binswangen (im schwäbischen Landkreis Dillingen an der Donau), Nürnberg, Nördlingen im Ries und Irsee steuern AutorInnen Beiträge bei. Ausnahmen bilden Dirk Belda (Frankfurt) und Benigna Schönhagen (Tübingen), doch auch letztere beschäftigt sich mit einem Augsburger Thema.

Einen Schwerpunkt nimmt der Fußball ein, von dem die Herausgeber schreiben, dass erst mit den Publikationen der Sozialhistorikerin Christiane Eisenberg etwa ab 1990 erste Resultate einer quellengesättigten Kultur- und Sozialgeschichte des Fußballsports in Deutschland vorgelegt wurden. Mit dem generellen Interesse habe auch das spezielle Interesse hinsichtlich der Juden im deutschen Fußball zugenommen. Überzeugte Anhänger des Karlsruher KSC werden interessante Details zu ihrer Vereinsgeschichte ebenso finden, wie die eingefleischten Pilger zum »Betze«, wie das einstige Betzenbergstadion und heutige Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern von Fans genannt wird. Anerkennend weisen die Herausgeber darauf hin, dass der 1. FC Kaiserslautern als einer der ersten eine Recherche über sein jüdisches Erbe, über die Biografien der »Vereinsführer« und die stadt- und regionalhistorischen Kontexte der Lauterer Sportgeschichte bereits im Jahr 2006 in einer umfangreichen Monografie dargestellt hat.

Am 9. April 1933 fassten, wie Markwart Herzog beschreibt, Vertreter von vierzehn damals führenden süddeutschen Fußballclubs den Beschluss, »sich den antisemitischen Bestrebungen der neuen Regierung zu unterwerfen, jüdische Mitglieder auszuschließen und in den Jugendabteilungen Wehrsport einzuführen«. Diese Resolution ist als »Stuttgarter Erklärung« in die Geschichte des Sports eingegangen. Unterzeichnet haben die Offenbacher Kickers ebenso wie der FSV Frankfurt, der FC Bayern München, die Spielervereinigung Fürth, der FC Nürnberg, der Karlsruher FV, der FC Kaiserslautern, der FK Pirmasens und die Stuttgarter Kickers. Keine Erwähnung findet aber der Stuttgarter VfB, der als Zusammenschluss zweier Vereine erstmals 1914 auftrat und also schon längst existierte. Sein Mannschaftsarzt Richard Ney, Sportarzt und Leiter der Hockeymannschaft, gehörte zu jenen jüdischen Ärzten, denen 1938 die Approbation entzogen wurde, obwohl er im Ersten Weltkrieg schwer verwundet und mit dem EK 1 ausgezeichnet worden war. Zusammen mit seiner Frau konnte er 1941 über Berlin das Land verlassen und in die USA emigrieren. 1970 ist er gestorben. An seinem Schicksal lassen sich Schikanen und gesellschaftliche Entsolidarisierung hautnah nachvollziehen. Der Autor Gregor Hofmann hat das so in seinem vor nicht allzu langer Zeit erschienenen Buch »Der VfB Stuttgart und der Nationalsozialismus« geschildert.

Warum dieser Verein im vorliegenden Buch ausgespart wird, bleibt unerklärt. Jedenfalls fühlt man sich an den Fall dieses Dr. Ney erinnert, wenn darin von David Rothschild die Rede ist. Der hat die Sportpolitik des Fußballsportvereins Frankfurt fast zehn Jahre lang bestimmt. Der Führungsstil des jüdischen Facharztes für Lungenkrankheiten scheint fordernd, seine Haltung deutsch-national gewesen zu sein. »Als energischer Verfechter des bürgerlichen Leistungsprinzips setzte er auf Sportaskese und maskuline Härte, bekämpfte Verweichlichung und jedweden Hedonismus. Vor allem verdammte er den Konsum, Nikotin, Alkohol und Sex als ›Verrat am Verein‹.« Die goldenen Jahre im Fußballerparadies am Bornheimer Hang standen unter seiner Ägide. Bis zuletzt wollte der unternehmerische Arzt und Sakralkunstsammler nicht wahrhaben, dass er sich in Deutschland zunehmend in Lebensgefahr befand. 1936 ist er plötzlich während eines Familienbesuchs in Stockholm gestorben.

Viele solcher Lebensläufe – ob von Funktionären oder Sportlern – werden in dem Buch beschrieben. Sei es der Handballspieler und Orthopädiemechaniker Dr. Eisenmann in Nördlingen oder der Turner Theodor Levite, ebenfalls in Nördlingen. Sie fielen daheim der Damnatio memoriae anheim, gingen ins Exil, wanderten in die USA, nach Kolumbien oder Palästina aus. Manche von ihnen kehrten 1945 als GIs zurück. Einige überwanden sich sogar dazu, 1970 an einem Wiedersehen jüdischer Sportler in Frankfurt am Main teilzunehmen. Auf einem Erinnerungsfoto ist auch Henry Kissinger zu sehen.

Auch wenn das vorliegende Buch fußballzentriert ist, so ist die Betrachtung der Leichtathletik nicht minder interessant. Wobei gerade in dieser Disziplin die heuchlerische »Sportaußenpolitik« der NSDAP im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 deutlich wird. Die Nazis, in Sorge vor einem Boykott des US-Olympiateams, lockerten vorübergehend die rassistischen Regeln. Benigna Schönhagen beschreibt den Fall der Leichtathletin Gretel Bergmann aus Laupheim. Das Regime hatte die jüdische Hochspringerin, die nach Großbritannien emigriert war, aufgefordert, zur Olympiade nach Deutschland zurückzukehren, was sie auch tat. Noch während sie sich in Stuttgart auf den Wettkampf vorbereitete, wurde klar, dass die Amerikaner teilnehmen würden, woraufhin Gretel Bergmann sozusagen kalt abserviert und postwendend von der Teilnahme ausgeschlossen wurde. Sie starb übrigens erst 2017 in New York.

Erstaunlicherweise wird in diesem Zusammenhang auf die Nennung von Helene Mayer verzichtet, wo doch auch sie ein Beispiel für die Täuschungsmanöver der Nazis ist. Auf Drängen der amerikanischen Öffentlichkeit und auf Intervention des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) startete sie 1936 für Deutschland und gewann hier die Silbermedaille im Florettfechten. Helene Mayer war in Offenbach am Main geboren, später wegen ihres jüdischen Vaters aus dem Offenbacher Fechtclub gedrängt worden, und lebte als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in den USA. Obwohl Emigranten wie Thomas Mann ihr abrieten, ihre Leistung in den Dienst des Dritten Reichs zu stellen, trat sie an. Vielleicht irritiert ihr »Deutscher Gruß« bei der Siegerehrung nachhaltig oder ihre Lebensgeschichte scheint den Herausgebern dieses Buches zu bekannt, als dass sie sie erwähnten. Aber eigentlich dürfte sie nicht fehlen, immerhin ist auch sie eine »Süddeutsche«; gestorben 1953 in Heidelberg. Zusammen mit dem Berliner Eishockeyspieler Rudi Ball, der bereits bei den Olympischen Spielen 1932 mit seiner Mannschaft Bronze geholt hatte und dessen Vater ebenfalls Jude war, gehört Helene Mayer zu den »nichtarischen« SportlerInnen, die für Deutschland in Berlin teilnahmen.

Den weniger bekannten jüdischen Sportlerinnen und Sportlern in den ehemaligen Landjudengemeinden Binswangen und Buttenwiesen widmet sich Anton Kapfer, den jüdischen Fußballern in Memmingen vor und nach dem Ersten Weltkrieg Christoph Engelhard. Dietmar-H. Voges weist jüdische Bürger in Nördlinger Sportvereinen nach, Benigna Schönhagen untersuchte die »Private Tennisgesellschaft Augsburg« (PTGA), die offenbar von der Allgemeinheit wenig beachtet, seit Mitte der 1920er-Jahre eine in sich geschlossene (jüdische) Sportwelt darstellte – und die sich auch nach 1933 fünf Jahre lang »wie eine Insel im braunen Meer« behauptete. Schönhagen konnte an eine Ausstellung anknüpfen, die das Jüdische Museum Augsburg Schwaben der PTGA im Jahr 2008 gewidmet hat.

So, wie die Vertreibung jüdischer Sportler aus ihren Vereinen und aus ihrer Heimat dargestellt wird, so ist auch die Rückkehr der Überlebenden ein Thema. In Kapitel IV geht es um »Jüdischen Sport in DP-Camps nach 1945«. Dem Fußball galt zwar »die größte Liebe« der Displaced Persons, aber die sich abzeichnenden Konturen eines eigenen Staats in Palästina verlangten nach »wehrhaften Männern« im Sinn der zionistischen Idee. Und so bekam etwa der Boxsport eine politische Bedeutung.

Die im Buch vorgestellten Forschungsergebnisse sind reichlich mit Fußnoten versehen, was die Fluidität des Leseflusses nicht gerade fördert. Zahlreiche Fotografien, die meisten davon schwarz-weiß, ergänzen den Text. Das Glossar mit üppigen Quellen- und Literaturhinweisen zeugt davon, dass sich seit der Jahrtausendwende viel in diesem Bereich getan hat. Das vorliegende Werk fügt nun einen weiteren Baustein in dieses Forschungsgebäude ein.

Reinhold Fülle

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