Titelbild eines Buches

Jörg Sommer, Pierre L. Ibisch und Achim Brunnengräber: Ökologie und Heimat

Gutes Leben für alle oder die Rückkehr der braunen Naturschützer? Jahrbuch Ökologie 2021.

Hirzel Verlag, Stuttgart 2020. 247 Seiten. Kartoniert 19,80 €. ISBN 978-3-7776-2864-6

Titelbild eines Buches

Ein Buch, das eigentlich alle lesen sollten, die mit dem Begriff Heimat und mit Naturschutz zu tun haben! Die Titelseite soll vermutlich aufrüttelnd wirken und neugierig machen: Ein Gartenzwerg mit Zipfelmütze – wohl den Deutschen Michel darstellend – schaut über einen hölzernen Gartenzaun auf ein bewaldetes, etwas nebulöses Bergland. Der Antagonismus gutes Leben versus braune Naturschützer lässt die Aufarbeitung von Widersprüchlichkeiten erwarten und gibt insoweit einen Vorgeschmack auf die von verschiedenen Autoren verfassten 20 Kapitel. In diesem Buch wird Klartext geschrieben. Das mag manchem Leser manchmal vielleicht etwas harsch erscheinen, aber die Thematik ist ernst und verträgt kein Gesülze, sondern soll Grundlage einer Diskussion darüber sein, inwieweit der Begriff Heimat mehr und mehr von rechten Gruppierungen mit Beschlag belegt wird. Letztlich geht es darum, wie dem nach Beobachtung der Autoren wieder aufflammenden ideologischen Missbrauch entgegengetreten werden kann.

Inhaltsangaben der 20 Kapitel würden zu weit führen, daher der Versuch einer Zusammenfassung: Heimat ist ein seit rund 100 Jahren belasteter Begriff, der nicht nur mit Kindheitserinnerungen, Romantik, Identifizierung mit Geburts- und Wohnort und wohligem Aufgehobensein in überschaubarem Raum in Verbindung steht, sondern auch zu territorialen Ansprüchen, Diskriminierung und Ausgrenzung, damit zu staatlich organisiertem Rassismus und Völkermord beigetragen hat. Der nationalistisch beeinflusste Naturschutz hat zur Verzerrung des ursprünglich unpolitischen Heimatbegriffs geführt, worunter sowohl der Begriff Heimat als auch die Naturschutzbewegung bis heute zu leiden haben. Mehr noch: Die Autoren belegen anhand zahlreicher Beispiele, dass rechte Kräfte – gemäßigte wie radikale – zunehmend das Feld Ökologie und Naturschutz besetzen und damit auf Stimmenfang gehen. Sinn und Zweck des Buches will es daher sein, diesen kurz umrissenen Inhalt unter verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten und zur Wachsamkeit aufzurufen. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass sich aus populistischen Strömungen Schlimmeres entwickeln könnte. Damit wird auch das Titelbild verständlich: Der Deutsche Michel mit Schlafmütze, der mit sich selbst und seinem Hausgarten, seiner Heimat, zufrieden ist, möge aufpassen, was sich um ihn herum tut.

Das Buch ist insofern politisch, als die Begriffe Naturschutz, Ökologie und Heimat nahezu ausschließlich und manchmal fast etwas zwanghaft unter rechter oder linker Flagge gesehen werden. Vor allem den Herausgebern scheint es unvorstellbar, dass sich jemand ohne politisches Mandat um gefährdete Tier- oder Pflanzenarten, um Natur ganz allgemein oder um die Ästhetik der Landschaft und damit um die Heimat Sorgen macht. So kommt man während des Lesens immer wieder zu der Erkenntnis, dass die Intention des Buches, Analysen von Entwicklungen zu bieten, die mit dem Heimatbegriff verbunden sind, weniger naturwissenschaftliche Zusammenhänge beinhaltet, als vielmehr gezielt auf rechten Populismus oder Extremismus abzielt. Eigentlich erwartet man, dass auch mal diejenigen, die weltweit in Gesellschaft und Politik wider besseres Wissen zu immer rasanterer Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beitragen, beim Namen genannt werden, die Autoren drehen sich aber ausschließlich im Kreis des politischen Heimat- und Naturschutzbegriffs. Um vor gefährlichen Entwicklungen zu warnen, mag dies gerechtfertigt erscheinen, der Leser sollte aber vielleicht doch zumindest in einem Nebensatz darauf hingewiesen werden, dass es auch anständige Vertreter von Heimat und Naturschutz gibt und dass die deutsche Debatte über den Begriff an vielen Leuten, die sich für eine schöne Heimat und vielfältige Natur einsetzen, total vorbei geht. Eine persönliche Anmerkung sei hier erlaubt: Der Rezensent, fünf Jahrzehnte im amtlichen und ehrenamtlichen Naturschutz engagiert und mit vielen Engagierten in Verbindung stehend, hat in dieser langen Zeit von aktuellen braunen Umtrieben nur ein einziges Mal etwas mitbekommen. Dass es derartiges vermehrt gibt, soll keineswegs abgestritten werden, andererseits dürfen sich für Heimat und Naturschutz engagierende Personen nicht a priori in eine rechte Ecke gestellt werden – nur das soll mit dieser Bemerkung bezweckt werden.

Das 20. Kapitel des Buches aus der Feder der beiden der Redaktion des Ökologischen Jahrbuchs angehörigen Autoren Sommer und Ibisch ist sicher gedacht als konstruktiver Schluss nach so vielen Beiträgen über den einstigen und heutigen Missbrauch der Begriffe Heimat, Ökologie und Naturschutz. Globaler Ökohumanismus (S. 231 ff.) – den Begriff muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – wird als Ausweg aus der rechtslastigen Heimatdiskussion gepriesen. Ausgehend von der These, dass sich anbahnende gesellschaftliche Großkonflikte mehr und mehr von ökologischen Problemen wie Klimawandel und Artensterben beeinflusst werden, prophezeien die Autoren, dass sich soziale Spannungen in den Vordergrund schieben und eine Lösung der ursächlichen ökologischen Probleme vereiteln werden. Die Situation unseres Planeten wird sehr drastisch, aber keineswegs irreal dargestellt und bilanziert: Die Zeichen stehen auf Sturm (S. 237). Mit Brot und Spielen werden die sozialen Spannungen und Konflikte und erst recht die ökologischen Probleme nicht lösbar sein; ob ökologische Radikalität und Ökohumanismus (S. 242) zu einem guten Leben für alle (Buch-Untertitel) führen und was darunter außerhalb der andinen oder indischen Kultur genau zu verstehen ist, wird leider nicht näher ausgeführt. Die letzten anderthalb Seiten des Buches auf zehn Seiten zu erweitern, wäre sicher sinnvoll gewesen und hätte vielleicht den Schlusssatz verständlicher gemacht: Sie – leider weiß man nicht, wer gemeint ist – macht die Erde letztlich zu einem Ort, den wir zu Recht so nennen können: Heimat.

Damit ist man schlussendlich doch wieder bei dem altbewährten Begriff angelangt und wird ihn nach so viel hochkarätiger Beleuchtung zukünftig auch weiterhin unbefangen – zum Beispiel im Namen unseres Vereins und unserer Zeitschrift – verwenden dürfen.

Reinhard Wolf

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