Titelbild eines Buches

Iason Chandrinos und Volker Mall: »Wir waren Menschen zweiter Klasse«

Die Geschichte der 1040 im Sommer 1944 von Athen nach Deutschland deportierten Griechen

Hrsg. von der KZ Gedenkstätte Hailfingen/ Tailfingen. BoD – Books on Demand Norderstedt 2022. 598 Seiten mit einigen Abbildungen. Hardcover 39,00 €. ISBN 978-3-7562-0486-1

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Auch dies ist ein Stück schwäbischer Geschichte, schmerzhaft und unangenehm. Am 7. und 9. August 1944 wurden in den Vororten von Athen unter Führung deutscher SS-Truppen in Zusammenarbeit mit griechischen Kollaborateuren Razzien gegen Partisanen – »kommunistische Banden« – durchgeführt. Dabei erschossen die »Sicherheitskräfte« rund zweihundert Menschen, zum Teil wahllos. Zudem nahmen sie 1040 »Bandenverdächtige« gefangen. Diese verschleppte man schon wenige Tage später als Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich. 382 von ihnen kamen auf den Nachtjägerflugplatz Hailfingen (heute Teil der Stadt Rottenburg) im schwäbischen Gäu und von dort auf die Flugplätze von Deckenpfronn, Mötzingen, Neuhausen ob Eck und Mengen. Eine weitere Gruppe von etwa 200 Zwangsarbeitern wurde beim Untertageprojekt Hecht/Rubin in Geislingen an der Steige eingesetzt, andere im Raum Mannheim bei der Reichsbahn oder in Oberschwaben, nachweislich in Biberach, in Oggelshausen am Federsee und in Schelklingen.

Das Wissen um diese Vorgänge verdanken wir Volker Mall, der sich seit zwei Jahrzehnten mit der Geschichte des KZs Hailfingen-Tailfingen und dessen Opfern beschäftigt, sowie Iason Chandrinos, Habilitand am Lehrstuhl für Europäische Geschichte der Universität Regensburg, der 2017 im Archiv des Roten Kreuzes in Athen eine Namensliste aller am 16. August 1944 nach Deutschland deportierten griechischen Zwangsarbeiter gefunden hat. Unermüdlich haben beide nach dem Fund dieser Liste über den Einsatz der Verschleppten in Deutschland sowie über deren weiteres Schicksal recherchiert. Ihre Ergebnisse haben sie nun in diesem Buch festgehalten.

Den Band eröffnet ein Aufsatz des renommierten deutsch-griechischen Historikers Hagen Fleischer, emeritierter Professor für Neuere Geschichte der Universität Athen. Er beschreibt überblickartig den Einsatz griechischer Arbeiter »im Deutschen Krieg, 1917–18 und 1941–45«. In den Mittelpunkt ihres gewichtigen Werkes stellen die beiden Herausgeber sodann von ihnen ausfindig gemachte Tagebücher von Zwangsarbeitern, die anschauliche Einblicke in die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Häftlinge sowie in die Situation vor Ort vermitteln. Ergänzt werden diese Tagebücher durch ein Interview mit einem Betroffenen sowie durch autobiografische Aufzeichnungen und einschlägige Fotos, die sich bei Nachkommen von Zwangsarbeitern in Griechenland erhalten haben. Diesen kommentierten Editionen folgen Beiträge zu den einzelnen Arbeits- und Einsatzorten der Zwangsarbeiter in Süddeutschland sowie eine Liste mit den Namen aller 1040 Personen, auf der auch deren Herkunfts- und Zwangsarbeitsort genannt wird. Die den Band abschließenden Quellen- und Literaturverzeichnisse verdeutlichen eindrucksvoll, wohin überall die umfangreichen Recherchen geführt haben.

Insgesamt gelang es den beiden Herausgebern, nicht nur eine Wissenslücke zur Geschichte des ehemaligen Militärflughafens Hailfingen zu schließen, sondern auch die Tür zu öffnen für weitere Forschungen zur Geschichte der Zwangsarbeit in der NS-Zeit. Zwar hat in den letzten Jahren das Interesse der Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Forschung am Thema »Zwangsarbeit« deutlich zugenommen, was sich auch an der Zahl neuerer Publikationen ablesen lässt, das Unterthema Griechenland jedoch findet sich dabei nur äußerst selten. Eine Ausnahme bildet dabei – wie so oft – die Schwäbische Heimat: siehe den dort in 2022/2 publizierten Beitrag von Iason Chandrinos und Volker Mall: »›Das Tal des Todes‹ Griechische Zwangsarbeiter bei Geislingen 1944/45«.

Wilfried Setzler

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