Titelbild eines Buches

Franz Martin Kuen. 1719-1771. Ein Maler zwischen Frömmigkeit und venezianischer Pracht

Ulrich Hoffmann und Matthias Kunze (Hrsg.). Anton H. Konrad Verlag Weißenhorn 2020. 320 Seiten mit 413 meist farbigen Abbildungen. Fest gebunden € 34,80. ISBN 978-3-87437-597-9

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Ein hervorragendes Weißenhorner Geschlecht – mit diesen Worten beschreibt 1904 der Stadtpfarrer Joseph Holl, der sich als erster mit der Geschichtsforschung Weißenhorns und seiner Umgebung befasste, die Familie Kuen. Im späten 17. Jahrhundert war diese aus Tirol zugewandert und hatte das Bürgerrecht erworben. Holls Forschungen führten zur Wiederentdeckung des Rokoko-Malers Franz Martin Kuen, der schon kurz nach seinem Tod vergessen wurde, nachdem in seinen letzten Lebensjahren das Rokoko durch den Frühklassizismus verdrängt worden war. Als Folge der Aufklärung und der damit verbundenen Säkularisation entstand eine neue künstlerische Ausdrucksform mit einer einfachen, nüchternen und klaren Formensprache, die einen Gegenpol zu der Bewegtheit, glitzernder Pracht, Sinnenfreude wie auch zur betonten religiösen Verinnerlichung des zuvor herrschenden Barocks und Rokoko bildete. Franz Martin Kuens Fresken aber zeichneten sich noch durch eine große Prachtentfaltung und gleichzeitig tiefe Frömmigkeit aus. Seine Wand- und Deckengemälde mit Inhalten des christlichen Glaubens, mit Heiligen und göttlichen Heilsbotschaften sollten einen Abglanz des himmlischen Geschehens zeigen. Ein opulentes Spiel mit Licht und Farbe offenbarte das Wunderbare, Märchenhafte, Sensationelle. Visionäre – Architekturbühnen unter Scheingewölben öffneten unendliche Himmelsräume. Schon wenige Jahre nach Kuens Tod war die Ablehnung dieser Barockkunst so stark, dass einige seiner Fresken abgeschlagen wurden. Erst die weitere Heimatforschung konnte dann im Lauf der letzten Jahrzehnte eine neue Würdigung herausbilden: Die noch vorhandenen sakralen Werke wie auch wiederentdeckte Zeichnungen wurden zugeordnet und katalogisiert, seine hervorragende Stellung innerhalb der schwäbischen Freskomalerei des 18. Jahrhunderts erkannt. Es stellte sich heraus, dass aus den dreißig Jahren seiner Malertätigkeit zahlreiche Grafiken, Altar- und Porträtgemälde erhalten sind; außerdem finden sich an rund fünfzig Orten zwischen Donau, Ammersee und Bodensee von ihm ausgeschmückte Kirchen und Schlösser. Zu Kuens Auftraggebern zählten einfache Pfarrer, namhafte Prälaten sowie bedeutende Repräsentanten des Adels. Das Heimatmuseum Weißenhorn konnte einen Zeichnungsschatz erwerben und ihn als Grundlage für die Ausstellung zu Franz Martin Kuens 300. Geburtstag 2019 nehmen. Zusammen mit dem Bildungszentrum am Kloster Roggenburg, wo er fast 20 Jahre wirkte, und weiteren Kultureinrichtungen wurde ein breites Programm aufgelegt. Das vorliegende Buch präsentiert nun die Erkenntnisse des Jubiläumsjahres, würdigt seine Entwicklung, die zahlreichen Facetten seines Werks und wird durch ein Verzeichnis der Fresken und Gemälde ergänzt. Alle Beiträge sowie das Werkverzeichnis sind reich bebildert.

Der zentrale Beitrag von Matthias Kunze, Kunsthistoriker und Leiter des Weißenhorner Museums, schildert zunächst den Werdegang Kuens zu einem der tüchtigsten Meistern in Bayrisch Schwaben. Nach den Lehrjahren in der Werkstatt des Vaters vervollständigte er die Ausbildung in Augsburg im Umkreis von Johann Georg Bergmüller. Dieser leitete dort die reichsstädtische Akademie, schuf monumentale Freskenzyklen sowie Altargemälde und hatte eine druckgrafische Werkstatt. Kunze zeigt an zahlreichen Beispielen den Einfluss dieses Meisters. Eine weitere Förderung erfuhr Kuen durch bedeutende Geistliche des Familienverbands; ein Onkel, zwei Brüder und ein Vetter hatten wichtige Kirchenämter in St. Michael zu den Wengen in Ulm und im Kloster Roggenburg inne und konnten zu ersten großen Aufträgen beitragen.

Wesentliche Impulse für eine neue Entwicklung seines Stils brachte ihm ein Aufenthalt in Rom und Venedig. Der Höhepunkt seiner Italienreise war die Aufnahme in der Werkstatt Giovanni Battista Tiepolos. In Kuens Fresken lassen sich nach seiner Rückkehr nach Weißenhorn immer wieder stilistische und auch inhaltliche Anlehnungen an Tiepolos Werke finden. Es war eine weitverbreitete Kunstpraxis, ja eine Empfehlung für den Künstler, sich Vorbilder der italienischen Malerei durch Zeichnungen nach dem Original anzueignen und sie in das eigene Werk einfließen zu lassen. Matthias Kunze zeigt an zahlreichen Beispielen die venezianische Pracht Tiepolos, die ihren Niederschlag in den Fresken Kuens fand.

Ulrich Hoffmann, Theologe und Vorstand des Museumsvereins Weißenhorn, würdigt den Beitrag, den Kuen zur Ausstattung des damals neu erbauten Prämonstratenser-Klosters Roggenburg leistete. Protegiert von seinen geistlichen Verwandten und selbst mit der Spiritualität der Prämonstratenser vertraut, konnte er hier nach seinem Italienaufenthalt eine einheitliche Ausstattung fast aller Klostergebäude schaffen, die eine besondere Einheit der typischen Volksfrömmigkeit des Ordens mit venezianischem Glanz darstellt.

Kunsthistoriker*innen, Historiker und Restaurator*innen ergänzen in ihren Beiträgen einzelne Facetten des Wirkens Kuens, sein künstlerisches Umfeld, seine Bilder-Sprache, die spezifische Handschrift seiner Porträts und seine Maltechnik. Detaillierte Untersuchungen einzelner Fresken sowie ein Ausblick auf die Arbeiten seiner Schüler und Nachfolger vervollständigen die Perspektiven.

Wenn auch das Kulturprogramm und die Ausstellungen anlässlich seines Jubiläumsjahres vorbei sind, macht das vorliegende Buch neugierig auf die Werke Franz Martin Kuens. Ein abgedruckter Plan seiner Wirkungsstätten erleichtert den lohnenswerten Weg zu den Altarbildern und Fresken des Malers zwischen schwäbischer Frömmigkeit und venezianischer Pracht.

Sibylle Setzler

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