Titelbild eines Buches

Cornelia Oelwein: Amalie von Stubenrauch (1805–1876). Bühnenstar und Geliebte.

Titelbild eines Buches

W. Kohlhammer Verlag Stuttgart 2020. 308 Seiten mit 8 Abbildungen. Kartoniert € 34,–. ISBN 978-3-17-037745-5

Im Grunde ist es ein Stoff für den Boulevard: Ein König ohne Eheglück vernarrt sich in eine Dame vom Theater und unterhält mit ihr eine Langzeitbeziehung. Verschwiegene Dates, gemeinsame Urlaube mit getrennten Reisewegen, Geheimcodes, die signalisieren, ob die »Luft rein« ist, Höflinge, die diskret dafür sorgen, dass der Schein gewahrt bleibt, sind Teil des Plots. Und der beweist, dass die besten Stories immer noch das Leben schreibt. Cornelia Oelwein hat diese wahre Begebenheit in Form gebracht und damit ein Stück Landesgeschichte wieder ins Bewusstsein gerückt. Im Mittelpunkt stehen eine Frau aus Bayern, deren Geburtsjahr und -ort nicht mit letzter Sicherheit bekannt sind, und der württembergische König Wilhelm I.

Dieser hat das von seinem Vater Friedrich übernommene Königreich von 1816 bis 1864 regiert. Seine Regierungszeit wurde anlässlich der Großen Landesausstellung 2006 in Stuttgart positiv dargestellt. Ein wirtschaftlich und kulturell lenkender »Landesvater« sei er gewesen, hieß es da. Und damit ein Glücksfall für das Königreich. Der Oper und dem Schauspiel war er sehr zugetan, Damen des Theaters waren seine Favoritinnen. Manche seiner Entscheidungen dürften unter dem Motto Cherchez la femme gefallen sein. Schon in jungen Jahren und noch als Kronprinz hatte er seine ersten Affären, so war er mit seiner – nicht standesgemäßen – Geliebten Therese nach Paris ausgebüchst. Seiner dritten Gemahlin Pauline, Tochter seines Onkels, blieb er in einer unterkühlten Beziehung offiziell verbunden, nachdem sie ihm 1823 Thronfolger Karl geboren hatte. Während sich Pauline karitativen Aufgaben und einem strengen Pietismus zuwandte, suchte der König weiterhin Abwechslung in Amouren. In der Schauspielerin Amalie von Stubenrauch, knapp ein Vierteljahrhundert jünger als er selbst, fand er offenbar mehr als eine Geliebte. Mit ihr blieb er bis zu seinem Tod freundschaftlich verbunden. Die Königin wusste Bescheid, eine »ménage à trois« wurde daraus aber nicht. Der Schein blieb gewahrt und es den Bediensteten überlassen, heikle Begegnungen zu verhindern.

Oelwein webt Zeit-, Theater-, Städtebau- und Kunstgeschichte zu einem Ganzen zusammen. Sie lässt uns an Tratsch und Klatsch teilhaben, an Kabale und falscher Nachrede, sie spickt in Theaterzettel und Programmhefte, erläutert die Personalpolitik am Stuttgarter Theater und zeichnet fast beiläufig ein ganzheitliches Gemälde der Residenz zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Wir werden Zeuge vom Teilabbruch des Lusthauses und seinem misslungenen Umbau. Wir erhalten Bericht vom Ausbau der Neckarstraße zur Stuttgarter Prachtmeile, mit Amalie von Stubenrauch als eine der ersten prominenten Anwohnerinnen. Wir lesen, wie sich die revolutionären Tumulte im Jahr 1848 auf den Kulturbetrieb auswirkten und nehmen Notiz von dem ehrbaren Revolutionär Gottlieb Rau und seinem Anteil an den Ereignissen. In diesem breiten Kontext stellt uns Cornelia Oelwein eine Schauspielerin vor, die etwa als »Johanna« in Schillers Tragödie glänzte, und in der Rolle der »Irene« im romantischen Trauerspiel Belisar, einem der meistgespielten Stücke jener Zeit. Heroische Rollen scheinen ihr gelegen zu haben, wie das Morgenblatt vom 30. Oktober 1832 bestätigte: »Würde und Hoheit, Feuer und Leidenschaft standen ihr gleichermaßen zu gebote. Ein klangreiches Organ, klare Redeweise, plastische Körperbewegung unterstützten sie dabei. Als beleidigte Gattin, als verzweifelnde Mutter steigert sich die Wahrheit ihres Spiels mit dem Affekt selbst, und in solchen schwierigen Momenten, an denen so oft, wenn nicht die Kraft, doch die Grazie der Schauspielerinnen scheitert, entfaltet sie ganz ihr Talent.«

Ihren Durchbruch hatte sie 1825 am königlichen Hoftheater zu München. Vier Jahre später unterzeichnete sie ihren Anstellungsvertrag für Stuttgart. Nicht lange danach hat es zwischen ihr und dem König gefunkt. Ihre Engagements in München und Stuttgart wurden ergänzt durch Gastspiele in Frankfurt, Darmstadt, Wien, Berlin und Prag. Cornelia Oelwein setzt »das Menschle vom Keenich« (zitiert nach Gerhard Raff) in ein günstiges Licht. Ihre Persönlichkeit hatte möglicherweise eine positive Auswirkung auf den immer so streng und abweisend wirkenden »Landesvater«. Aus den Staatsgeschäften habe sich Amalie herausgehalten, so der Befund der Autorin. In der Kulturpolitik ging ihr Wirken über das der »Actrice« jedoch deutlich hinaus: Ihr Einfluss im Theater war so bestimmend, dass man von ihrer Zeit als »Stubenrauch’sche Periode« sprach.

Umfangreich ist der Anhang dieses Buches mit Quellen- und Literaturverzeichnis. (Auf Seite 172 wird übrigens »ein namhafter moderner Landeshistoriker« korrigiert, der anhand der Fußnote als Decker-Hauff zu identifizieren ist). So sorgfältig dieses Buch recherchiert scheint, bleiben doch manche Informationen vage: Eine Bayerin aus niederem Adel, über deren Geburtsdatum unterschiedliche Angaben vorliegen. Und erstaunlicherweise sind bildliche Darstellungen von ihr selten.

Nach dem Tod des Königs, an dessen Sterbebett im Schloss Rosenstein sie ausgeharrt hatte, verließ die Schauspielerin die Stadt umgehend. Zwölf Jahre später starb sie am Starnberger See. Ihr Haus in der Neckarstraße, in dem sie Hof gehalten und ihre gesellschaftliche Stellung genossen hatte, ist dem Theaterneubau von Littmann gewichen. Die Spuren der einst weit über die Grenzen Württembergs und Bayerns hinaus bekannten Schauspielerin Amalie von Stubenrauch seien heute weitgehend verweht, schreibt Oelwein. Ganz stimmt das nicht. Zuletzt hat sich 2011 Dorothea Keuler in einem im Silberburg-Verlag erschienenen Buch ihrer angenommen. An württembergischer Landesgeschichte interessierte Menschen werden sich nichts desto trotz über die umfassende Recherche von Oelwein freuen. Die Autorin verschafft »der Stubenrauch« einen wieder einmal fälligen Paradeauftritt: nicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sondern in diesem Buch.

Reinhold Fülle

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