Die historischen Gewölbe sind in großer Gefahr, vollständig einzustürzen (Foto: Bernd Langner)
Bund lässt auf eigenem Grund und Boden ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung zerfallen
von Reinhard Wolf (Beitrag „Zur Sache“, Schwäbische Heimat, Heft 3.2016, August 2016)
Was ein Pirschgang ist, weiß nicht jeder. Die Silbe Pirsch führt zum Thema Jagd, und richtig, ein Pirschgang hat etwas mit Jagd zu tun: Es handelt sich um eine bauliche Einrichtung, durch die man sich ungesehen und ungehört dem Wild bis auf Schussweite nähern kann. Noch nie gesehen? Kein Wunder – so etwas gibt es deutschlandweit nur drei mal: In Thüringen die Anlage Rieseneck südlich Jena, erbaut 1712 bis 1727, und eine wohl zeitgleich erbaute Anlage auf dem Kickelhahn bei Ilmenau.
Ja, und dann gibt es tatsächlich etwas Vergleichbares bei uns, bei Böblingen nämlich, im Gegensatz zu den Thüringer Anlagen allerdings nicht touristisch genutzt und erlebbar, sondern verborgen im militärisch genutzten Sperrgebiet:
1736/37 unter Herzog Carl Alexander für seine Jagdgäste erbaut, waren die überwölbten unterirdischen Gänge, die zu Brunftplätzen des Rotwildes führten, einst 630 Meter lang. Auf 130 m Länge sind die Gänge noch im Original erhalten und führen durch einen lichten (militärisch ungenutzten) Wald. Eine Inschriftentafel am (zugemauerten) Eingang ist kaum mehr, ja eigentlich gar nicht mehr entzifferbar. Am Tag des offenen Denkmals waren die Pirschgänge in der Vergangenheit zu besichtigen, jetzt nur noch auf Voranmeldung unter Führung Ortskundiger.
Soweit, so gut, doch nun zur Sache: Die Reste der Gänge zerfallen, die Gewölbe stürzen ein – seit Jahr und Tag. Und das, wiewohl es sich um ein eingetragenes Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung handelt – wie oben dargelegt, um ein landesweit einmaliges Kulturdenkmal. Wohl hat man in den 1980ern einige notdürftige Abstützungen angebracht und 2007 erneuert, aber selbst diese liegen längst am Boden und modern vor sich hin.
Wie kann das geschehen? Wir haben doch ein Gesetz zum Schutz von Kulturdenkmalen, das eine Erhaltungspflicht für Denkmale beinhaltet? Warum geschieht denn nichts? Die Antwort ist einfach: Das Gelände gehört dem Bund, vertreten durch die Bundesanstalt für Immobilienangelegenheiten, abgekürzt BIMA. Und bei dieser Anstalt sieht man offenbar in den Pirschgängen irgendwelchen Kulturmüll, den ja so ohne weiteres niemand besichtigen kann und der deshalb kein Engagement und kein Geld wert ist.
Manche Bemühungen zur Rettung der Pirschgänge hat es in den letzten Jahren schon gegeben, es waren aber in der Regel Bemühungen anderer, nicht Bemühungen des Eigentümers. Auch der Schwäbische Heimatbund hatte sich schon bemüht, sah es doch eine Zeitlang so aus, als könnten öffentliche Zuschüsse fließen, wenn der Träger der Renovierungen eine nichtöffentliche Institution ist. Die Vorbereitungen für einen Spendenaufruf waren schon getroffen, da musste die Vereinsspitze die Bemühungen abbrechen: Das finanzielle Risiko für eine denkmalgerechte Restaurierung zu übernehmen, ist einem Verein und Spendern nicht zuzumuten – schon gar nicht, wenn sich der Eigentümer selbstgefällig zurücklehnt und einfach nur abwartet, ob sich etwas tut oder ob sich der Fall nicht von selbst erledigt, indem die Reste der Anlage vollends zerbröseln.
So ging das nun wieder drei, vier Jahre und es hat sich nichts Entscheidendes getan, außer dass Briefe hin und her geschrieben werden und zunehmend das sprichwörtliche Gras über die Pirschgänge wächst. Für den Schwäbischen Heimatbund und andere, die sich bemüht haben, ist nun die Zeit vorbei, gleichsam als Bittsteller zu fragen, ob man irgendwie behilflich sein könnte, ob man Geld beschaffen sollte oder sonst irgend was tun könnte, um die Pirschgänge zu retten. Jetzt ist endgültig der Zeitpunkt gekommen, wo definitiv zu fordern ist, dass die BIMA selbst Lösungswege aufzeigt und das Heft in die Hand nimmt – wie es das Gesetz verlangt! Schließlich handelt es sich, um das zu wiederholen, um ein gesetzlich geschütztes Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung, für das eine Erhaltungspflicht besteht (§ 6 und 12 BW DSchG): Eigentümer und Besitzer von Kulturdenkmalen haben diese im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten und pfleglich zu behandeln. Würden die Pirschgänge auf Privatgrund oder dem Boden einer Kommune liegen, wären schon längst behördliche Auflagen zumindest zur Sicherung des Bestandes, wahrscheinlich auch zur Renovierung noch erkennbarer Reste, ergangen! Vielleicht wären sogar schon Bußgeldbescheide ergangen.
Ob Appelle an die BIMA, also letztlich an den Bund und seine Vorbildfunktion, nutzen, wird sich zeigen; dies ist ein solcher Appell, ein ganz dringlicher sogar! Es ist wirklich an der Zeit, dass sich im Böblinger Wald draußen etwas tut, weitere Verzögerungstaktiken wären leicht durchschaubar. Es wäre sehr zu wünschen, dass in einem der nächsten Hefte der Schwäbischen Heimat die Überschrift lauten kann: Zur Sache: Böblinger Pirschgänge sind gerettet!
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