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Baukultur als Bildungsauftrag – ein Positionspapier

Was ist Baukultur und wie bekommt sie einen angemessenen Platz in der Bildung?

Dieser Frage widmete sich der 9. Schwäbische Städte-Tag am 25. April 2013 in Nagold, eine gemeinsame Veranstaltung des Schwäbischen Heimatbunds und der Architektenkammer Baden-Württemberg.

Die Ergebnisse der Tagung mit Referenten aus Architektur, Pädagogik und Politik sind in das vorliegende Grundsatzpapier eingeflossen, um sie an die bildungspolitischen Entscheidungsträger weiterzugeben.

Angeregt wird:

  • die Themen Architektur, Denkmalschutz und Baukultur angemessen in den Bildungsplänen zu verankern,
  • diese Themen in der Lehrerausbildung verstärkt zu berücksichtigen,
  • eine Institution, ähnlich der bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft Architektur und Schule, auch in Baden-Württemberg ins Leben zu rufen.

Die Zusammenhänge und Begründungen sind im Folgenden dargestellt.

Was wir haben

Baden-Württemberg verfügt über eine reiche und großartige Baukultur. Von der keltischen Besiedelung und der römischen Antike reichen ihre Zeugnisse über alle Epochen und Stile. Seit dem Mittelalter hat das Land, neben Burgen und Schlössern, dank der Verkehrswege und des dichtesten Netzes freier Reichsstädte herausragenden Städtebau mit Sakral- und Profanbauten sowie imposante Bürgerhäuser und Fachwerkensembles hervorgebracht. Renaissance und Barock haben dieses Erbe vermehrt, gefolgt von Biedermeier und Klassizismus. Über die neue Sachlichkeit der Moderne erfüllt die Baukunst auch in der Gegenwart hohe Maßstäbe und begründet den guten Ruf baden-württembergischer Architektur.

Der Respekt vor diesem Erbe, das im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit schwer gelitten hat, ist für uns heute selbstverständlich. Baukultur ist öffentliche Kultur. Sie ist kein verborgener Schatz, der in Archiven bewahrt wird. Sie liegt offen da und ist lebendig, weil sie genutzt wird – darum bleiben Städte und Dörfer lebendig. Baukultur sucht das Urteil der demokratischen und informierten Öffentlichkeit.

Die gebaute Umwelt schafft den festen Rahmen unserer Heimat – zusammen mit der Landschaft, mit der sie, oftmals in Spannung, ein Ganzes bildet. Es ist die Baukultur, die der Idee von Heimat, die jeder in sich trägt, die vertrauten Bilder gibt: Dorfkerne, Stadtplätze, Straßen und Gassen, öffentliche Gebäude, Schulen und Kirchen, von Baustilen der Epochen, Wohnformen, Bilder der Industrie- und Gewerbearchitektur, der Verkehrs- und Ingenieurbauwerke, Läden und Passagen, Konsumtempel, Hochhäuser, Parks und Friedhöfe und der heimatlichen Stadtsilhouette.

Heimat bedeutet Integration. Gerade eine mobile und plurale Gesellschaft verlangt fortwährende Integration, und mancherorts werden integrative Kräfte zum knappen Gut. Baukultur stiftet und prägt heimatliche Identität.

Das Interesse an Baukultur in Politik und Öffentlichkeit zeigt sich in der 2006 gegründeten Deutschen Stiftung Baukultur mit ihren regionalen Netzwerken. Der Begriff Baukultur ist inzwischen in das Baugesetzbuch aufgenommen. In Feuilletons und Magazinen ist die Präsenz von Architektur und Städtebau nicht mehr zu übersehen. Viele lokale Initiativen für die Erhaltung von Denkmalen belegen die wachsende Sensibilität für unsere Baukultur, und selbst die Heftigkeit öffentlicher Diskussionen über umstrittene Bauvorhaben darf durchaus auch unter diesem Aspekt gesehen werden.

Was wir tun sollten

Es ist an der Zeit, dass Bildungspolitik und Schulen von der Bedeutung der Baukultur angemessen Notiz nehmen. Schon per se ist sie ein Bildungsgut ersten Ranges, neben den anderen überragenden Bildungsgütern wie Literatur, Musik, Bildende Kunst. In ihrer heimatstiftenden, integrierenden Kraft und ihrer Präsenz für alle Bürger ist sie einzigartig. Erfahrungen aus Schulprojekten der Denkmalpflege und der Architektenkammern zeigen außerdem: Die gebaute Umwelt unserer Städte und Dörfer weckt Neugier und Kreativität der Schülerinnen und Schüler. Sie motiviert für Bildung generell, denn sie öffnet Zugänge zu Geschichte, Kunst, Technik, Naturwissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Obendrein kann sie Schülerinnen und Schüler mit dem örtlichen Handwerk und mit der Kommunalpolitik in Berührung bringen.

Es geht, wohlgemerkt, nicht um die Einführung eines weiteren Schulfachs. Die wachsende Zahl der Ganztagesschulen erlaubt (ja fordert geradezu) die Erschließung neuer Lernorte außerhalb des Klassenzimmers. Reichliche Erfahrungen mit Schulprojekten belegen, in welchem Maß die Erforschung der gebauten Umwelt Wissen, Kreativität und eigenes Tun (Dokumentieren, Zeichnen, neue Entwürfe) fördert. Beim Schwäbischen Städte-Tag 2013 des Schwäbischen Heimatbunds und der Architektenkammer Baden-Württemberg sowie in der von der Kammer seit 2008 jährlich fortgeführten Veranstaltungsreihe Architektur macht Schule – wie lässt sich Baukultur vermitteln? wurden zahlreiche Projekte vorgestellt, aus Baden-Württemberg und von jenseits der Landesgrenzen. Bemerkenswerte Ansätze zur Zusammenarbeit gibt es in Bayern: Aus einer Fortbildungssequenz haben sich dort Lehrer und Architekten zur Landesarbeitsgemeinschaft “Architektur und Schule” (LAG) zusammengeschlossen. Seit 2010 ist sie offiziell anerkannt. Eines der Projekte, die daraus hervorgingen, nämlich die Stadtoase Rosenheim, wurde von einer Schülerin beim Schwäbischen Städtetag präsentiert. – Eine ähnliche Institution wünschen wir uns in Baden- Württemberg!

Die Wüstenrot Stiftung engagiert sich seit langem intensiv mit eigenen Beiträgen, auch in den Veranstaltungen von Architektur macht Schule. Hervorzuheben ist das von ihr geförderte Schulprojekt Stadtspäher im westfälischen Hagen, das beim Schwäbischen Städte-Tag vorgestellt wurde. Von ihr liegt auch die Publikation Baukultur – gebaute Umwelt. Curriculare Bausteine für den Unterricht vor, mit 36 modularen Bausteinen, die in verschiedenen Unterrichtsfächern zur Vermittlung von Kompetenzen genutzt werden können.

Baukultur ist anschaulich. Denkmale sind authentische Quellen, in Lebensgröße und Echtzeit. Davon profitiert die pädagogische Methodik: Schüler entdecken, was die vertraute Umwelt, an der sie täglich vorüber gehen, Neues und Interessantes bietet.

Um die gebaute Umwelt erleben zu können, gibt es keine Schwelle zu überwinden. Verlangt das literarische Lesen, dass man Bücher kauft, der Besuch von Zoo, Museum, Kino, Theater, Konzert, dass man Eintritt zahlt – Baukultur ist frei zugänglich. Jedoch braucht es Anleitung, sie fordert Unterscheidungsvermögen, genaues Hinsehen, auch Anfassen und Kenntnis und Anwendung elementarer Begriffe – Lehrer sind hier im besten Sinn unverzichtbare Lernbegleiter, am anschaulichen Objekt.

Gewiss haben kompetente Pädagogen solche Bildungschancen für ihre Schüler schon immer genutzt. Dies zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Projektbeispiele. Diese Ansätze gilt es – zumal in Baden-Württemberg mit seiner reichen Bau- und Städtekultur – zu verstärken und in der Schulpraxis zu verankern. Es gilt, ihnen einen angemessenen Platz in den Curricula und Organisationsrichtlinien der Schulen einzuräumen.

Dazu fordern wir die Landesregierung auf. Die gegenwärtig stattfindende Überarbeitung der Bildungspläne von Primar- bis Sekundarstufe II bietet hierfür die Möglichkeit. Darüber hinaus regen wir an, die Lehrerausbildung nach Maßgabe der in den Bildungsplänen geforderten Kompetenzen zu überarbeiten. Die Architektenkammer Baden-Württemberg, der Schwäbische Heimatbund, der Landesverein Badische Heimat sowie die Denkmalstiftung Baden-Württemberg sind gern bereit, mit Rat und Tat, auch vor Ort, zu unterstützen.

Dipl.-Ing. Wolfgang Riehle, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg
Fritz-Eberhard Griesinger, Forstpräsident i.R., Vorsitzender des Schwäbischen Heimatbundes
Prof. Dr. Rainer Prewo, Oberbürgermeister a.D., Vorsitzender der Denkmalstiftung Baden-Württemberg
Dr. Sven von Ungern-Sternberg, Regierungspräsident a.D., Vorsitzender des Landesvereins Badische Heimat

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